Ein Bürgerhaushalt für mehr Demokratie?

image_pdfimage_print

Der Bürgerhaushalt!
Ein Produkt des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf für mehr Demokratie am „Ort der Vielfalt“?
Ein Ablenkungsmanöver von den Problemen unseres Bezirkes?
Eine versteckte Eigenwerbung an der Macht befindlicher Parteien?

Wir, die Alternative für Deutschland, sind seit November 2016 in der BVV vertreten. Um die Alltagsgeschäfte der Kommunalpolitik zu verstehen, mussten wir uns in die Besonderheiten der Fachbereiche einarbeiten. So stießen wir bereits im Frühjahr 2017 im Rahmen der Haushaltsplanungen für die Jahre 2018/19 auf große Widersprüche.
Das „gläserne Rathaus“ war für uns nicht zu erkennen, denn dessen Scheiben sind schmutzig.

Besonders kritisch fanden wir die Aufstellung des Bürgerhaushaltes.
Die Idee „Bürgerhaushalte“ aufzustellen, kam 2006 vom Senat. Jeder Bezirk stellte 200.000 Euro für seinen bezirklichen Bürgerhaushalt bereit, um seine Bewohner zur aktiven Mitbestimmung zu animieren. Als demokratische Spiel- und Übungswiese sozusagen, aber eben doch mit realen Auswirkungen und erlebbaren Folgen.
Das klingt erst einmal basisdemokratisch. Man meint, Bürger dürfen „mitmischen„!  Sie sollen Mängel in der Infrastruktur aufzeigen, Alltagsverbesserungen benennen oder Neuanschaffungen für Schulen, Kitas oder Spielplätze usw. fordern. Diese Ideen würden dann vom Bezirkssamt umgesetzt.
Soweit, so gut! Doch beim genauen Hinsehen erkennt man die offensichtliche Übertölpelung der Bürger!

Der Bürgerhaushalt beträgt 200 Tausend Euro je Jahr (0,2 Mio). Damit darf jeder Bürger über sage und schreibe 77 Cent (0,77 Euro) abstimmen! Ganz anders sind die Möglichkeiten des Bezirksamtes! Dieses hat in den letzten Monaten gänzlich allein eine Forderung von 48 Mio Euro an den Sonderfond „SIWANA“ gestellt, wovon der Senat bisher 22 Mio Euro bestätigte. Das Bezirksamt hält es also für demokratisch, wenn es allein die Verwendung von 48.000.000 Euro steuert, während die Bezirksverordneten über einen Bezirkshaushalt mit rund 650 Millionen (davon rund 23 Millionen Investitionsmittel) entscheiden, und alle anderen Bürger Marzahn-Hellersdorfs gemeinsam lediglich die Verwendung von 0,2 Mio Euro vorschlagen können.
Welch ein Mißverhältnis!
Doch es ist das real existierende linke Demokratieverständnis im 21. Jahrhundert.
Der Bürger möge gefälligst dankbar sein!

Zudem zeigten sich erhebliche Mängel in der Umsetzung des Bürgerhaushaltes in Marzahn-Hellersdorf. Die politisch induzierte Schwerfälligkeit des Verwaltungshandelns in der Berliner Verwaltung steht der des Senats am Desasterflughafen BER in nichts nach.
Es gab keine zusätzlichen Mitarbeiter für die Umsetzung des Bürgerhaushaltes, dennoch muß die Bezirksverwaltung es ja irgendwie leisten.
In Marzahn-Hellersdorf wurden die dreizehn „Bürgerbüros“ (Stadtteilzentren) mit jeweils 500 Euro je Monat gekapert, es heißt „ehrenamtlich beauftragt“, die Vorschläge der Bürger entgegenzunehmen. Da verdunsten schon schnell runde 30 % der vergleichbaren Summe des Bürgerhaushaltes.

Nach Sichtung durch die Beamten und Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, nach Festlegung der Zuständigkeiten, nach Beratung in den Ausschüssen mit Sondersitzungen und nach Beratungen letztlich in der Bezirksverordnetenversammlung (jedoch vorbehaltlich der Zustimmung der Bezirksverordneten) erfolgt die Umsetzung der gnädig genehmigten Bürgervorschläge.

Der freundliche Bürger schlägt deshalb im Bürgerhaushalt auch nicht etwa politisch unkorrekte Projekte vor, welche sowieso nicht die Gnade einer linksdominierten „Bezirksregierung“  (BA = Bezirksamt) finden würden. Er schlägt besser Selbstverständlichkeiten vor wie z.B. die Sanierung einer Kita oder die Reparatur eines Straßengeländers oder vielleicht das Auswechseln einer defekten Glühlampe. So lassen sich, sehr zur Freude der sich selbst so bezeichnenden demokratischen Parteien, originäre Aufgaben des Verwaltungshaushalts in den Bürgerhaushalt  umleiten.

Wie sieht die Zeitschiene für den Bürgerhaushalt 2020/21 aus:

Februar / März 2018           Eröffnung des Bürgerhaushaltes für den dankbaren Bürger,
Oktober 2018                      Abgabe der Haushaltsvorschläge durch den dankbaren Bürger,
März 2019                           Feststellung der Zuständigkeiten und Überweisung in die BVV zur Aufnahme in die Debatte zu den Haushaltsplanungen 2020/21,
November 2019                  Beschluß des Haushalts 2020/21 und Vorlage beim Senat zur Bestätigung,
ab 2020                               Umsetzung der genehmigten Bürgervorschläge aus 2018!

Also lebt der Bürger zwei Jahre mit defektem Straßengeländer oder mit defekter Straßenbeleuchtung.
Da der Bürger einen solchen Fake-Haushalt bei gesundem Bürgerverstand nicht benötigt, ist das Interesse an diesem Bürgerhaushalt stark rückläufig. Das Parteienkartell aus SPD, Linken und CDU in Marzahn-Hellersdorf ist indes völlig ratlos, weshalb der Bürger, der große Lümmel, sich nicht dankbarer zeigt.

Aus diesem Grunde beauftragte bereits 2015 das vorherige Bezirksamt ein Gutachten zu diesem Thema, eine Evaluation. Die Kosten dieses Gutachtens sind entweder unbekannt oder geheim, oder sie sind bekannt und deshalb geheim. Jedenfalls kann die Zusammenfassung auf den 70er Seiten des 130 Seiten umfassenden Gutachtens dem Bezirksamtskollegium nicht gefallen haben.
Wir zitieren: „… und damit ist der BHH teilweise undemokratisch.“
Trotz dieser Erkenntnis und anderer Mängel hält das Bezirksamt ehern an seinem Bürgerhaushalt fest und will ihn in den Haushalten 2020/21 wieder einstellen. Sieht man sich das Flugblatt das Bezirksamtes zum Bürgerhaushalt 2018 an, könnte man an indirekte Parteienwerbung glauben.

Die AfD beantragte deshalb die sofortige Einstellung des Bürgerhaushaltes (DS 0884/VIII):

Das Bezirksamt wird ersucht, alle Arbeiten am laufenden Bürgerhaushalt einzustellen und keinen neuen Bürgerhaushalt mehr aufzustellen.
Begründung:

  1. Der Bürgerhaushalt bindet personelle Ressourcen der Bezirksverwaltung in erheblichem Ausmaß. Die Vorschläge zu dem Bürgerhaushalt müssen erfragt, erfasst, kategorisiert, auf Machbarkeit bewertet, anschließend zur Auswahl gestellt werden. Diese Arbeit leistet die Bezirksverwaltung trotz Personalknappheit sowie berlinweit höchstem Altersdurchschnitt und damit einhergehenden hohen Krankenstand zusätzlich zu ihren originären Aufgaben. Die Gewinnung neuen Personals ist für das Bezirksamt angesichts des Tarifgefälles und des allzeit erwähnten Fachkräftemangels eine Herausforderung. Ein umfangreiches Schulsanierungsprogramm soll in den nächsten Jahren durchgeführt werden. Die Einstellung des Bürgerhaushaltes erbringt eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit unserer Verwaltung durch „Verschlankung“, durch Abwurf von „Ballast“!
  2. Der mit Einführung des Projektes „partizipative Haushaltsplanaufstellung, -entscheidung und -kontrolle im Bezirk Marzahn-Hellersdorf“ erhoffte Effekt ist nicht eingetreten. Die Bürgerbeteiligung liegt im einstelligen Prozentbereich und entstammt zu einem Drittel Schulklassen und Kindergartengruppen, welche in die Abstimmungslokale geleitet werden, um die Projekte ihrer jeweiligen Einrichtung zu unterstützen. Dies ist dem Abschlussbericht der Public One GmbH (Evaluationsbericht) leicht zu entnehmen. In Einzelfällen kommt es sogar zum Missbrauch. Durch Akteneinsicht wurde bekannt, dass der Angestellte der Arbeitseinheit Polis einen Bewohner einer Unterkunft für Flüchtlinge zur Einreichung des Bürgervorschlag „Errichtung eines Kricketfeldes“ gewonnen habe.
  3. Die meisten Berliner Bezirke schafften die Bürgerhaushalte bereits wieder ab. In wenigen Bezirken werden Bürgerhaushalte nur noch in sehr vereinfachter Form geführt.

Dieser Antrag wurde von der Bezirksverordnetenversammlung am 18. Oktober 2018 mehrheitlich abgelehnt.