Herr Krenz, die Toleranz und das Bezirksamt

An den Eingängen zu den Bürogebäuden des Bezirksamtes wurden vor einigen Jahren kleine Tafeln angebracht, welche die geneigten Leser vielleicht auch schon bemerkt haben.
Am 12. Oktober fand nun solch eine vielfältige Veranstaltung in unserem Bezirk statt. Der Verein DDR-Kabinett-Bochum e.V. hatte eine interne Veranstaltung für das Jubiläum einer Seniorensportgruppe, bei der der Verein unterstützen wollte, angemeldet. Einige Zeit nach der Anmeldung der Veranstaltung und dem Abschluss des Nutzungsvertrages für den Arndt-Bause-Saal stellte sich dann (offenbar ausgelöst durch die Nachfrage eines Pressevertreters am 14.7.19 beim Bezirksamt) heraus, dass in dieser Veranstaltung der 70. Geburtstag der untergegangenen DDR gefeiert werden sollte und Egon Krenz die Festrede hält. Die daraufhin angeforderte Stellungnahme des Rechtsamtes sah die Gefahr einer Haftung des Bezirksamtes bei Kündigung des Vertrages durch das Bezirksamt. Daraufhin konnte die Veranstaltung am 12. Oktober stattfinden.
Aktivisten und Mitglieder unserer Partei veranstalteten dann am 12. Oktober vor dem Beginn der Jubelveranstaltung eine Demonstration vor dem Freizeitforum und wiesen auf die Verbrechen der DDR-Führung und das unsägliche Grenzregime hin. Einige der, zumeist alten bis sehr alten, Besucher der Veranstaltung kamen auch mit den Demonstranten ins Gespräch oder drohten den Einsatz von Polizei und anderen Schutz- und Sicherheitsorganen (Schild und Schwert der Partei) gegen uns „feindlich-negative Elemente“ an. Sie hatten wohl den 1989/1990 erfolgen Übergang in eine halbwegs funktionierende Demokratie noch nicht verinnerlicht. Eine Störung der Veranstaltung ging von dieser Demonstration nicht aus.
Für die Klärung der Meinung des Bezirksamtes zu dieser Feierstunde wurde zur Bezirksverordnetenversammlung am 24. Oktober eine mündliche Anfrage eingereicht, die wegen Ablaufes der für die mündlichen Anfragen vorgesehenen 45 Minuten dann schriftlich beantwortet wurde (Drs. 1751/VIII Frage und Antwort hier lesen).
Das Bezirksamt (Bezirksstadtrat Lemm) bedauert darin noch einmal, dass die Veranstaltung stattfinden konnte und kündigt an, dass nunmehr in künftige Verträge für die Raumnutzung ein Vorbehaltspassus aufgenommen wird, um Wiederholungen zu vermeiden.
Wir fassen zusammen:
Der anmeldende Verein steht der DKP (Deutsche Kommunistische Partei) nahe und alte bis sehr alte Genossen, die der DDR nachtrauern, haben im Freizeitforum eine Veranstaltung durchgeführt, an der sie freiwillig teilgenommen haben. Als Festredner wurde der wegen Wahlbetruges und der Mauertoten vorbestrafte Egon Krenz eingeladen. Offenbar gab es durch die Veranstalter und Besucher keine Gesetzesverstöße.
Kritiker der Veranstaltung haben mit einer Demonstration ihre Sicht auf die DDR dargestellt.
Wo ist das Problem? Ist nicht gerade die Möglichkeit der Durchführung einer solchen Veranstaltung, auch für politische Minderheiten, deren Ansichten nicht der Mehrheit der Bevölkerung entsprechen, ein Ausdruck der Demokratie, Vielfalt und Toleranz der Gesellschaft? Warum hat das Bezirksamt bzw. Herr Lemm Sorgen vor einer Wiederholung der Raumnutzung durch ihm nicht genehme politische Kräfte?
Meine Meinung:
Wer im Freizeitforum eine Veranstaltung durchführen möchte, dabei die Gesetze einhält und Nutzungsentgelt zahlt, soll das ohne Gesinnungsprüfung durch das Bezirksamt auch machen können. Nächste Woche der Landesverband der Imker, dann UFO-logen und Wünschelrutengänger oder ein Parteitag der DKP – weil wir eine tolerante und vielfältige Gesellschaft sein wollen!
Das ist meine Meinung – wie ist Ihre?
Rolf Keßler