persönlicher Erklärung des Herrn Dr. Sergej Henke

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Herr Dr. Sergej Henke, ehemals CDU, jetzt partei- und fraktionslos, gab am 27.02.2020 vor der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf nachfolgende persönliche Erklärung ab, die wir mit seiner freundlichen Zustimmung hier veröffentlichen:

Sehr geehrte Frau Vorsteherin,
geehrte Bezirksverordnete,

einige wissen es bereits, andere erfahren es jetzt: Ich bin aus der CDU ausgetreten und ich verlasse die Fraktion. Da ich seitdem mit der Frage nach dem Warum gelöchert werde, habe ich beschlossen, die Antwort öffentlich zu geben. Es gibt für meinen Austritt mehrereGründe.

Der erste Grund: die CDU hat für mich schon lange keine Verwendung. Plakate aufhängen kann ich nicht, Flugblätter im Kiez verteilen genau so wenig. Ich könnte weiter die Zeitung für die Rußlanddeutschen machen, wie ich sie über zwei Wahlperioden gemacht habe, doch diese Zeitung gibt es nicht mehr. Ich könnte, wie seit langem, die Strecke Migration/Integration bearbeiten, doch seitdem die AfD mit von der Partie ist, ist das Thema tabu. Weshalb die CDU das Thema meidet, liegt auf der Hand: man kann über das Problem schlecht reden, ohne eigene Fehler und konzeptionelle Hilflosigkeit eingestehen zu müssen. 

Zweiter Grund. Ich bin sozialisiert worden in einem politischen Koordinatensystem mit klarer Struktur – es gab zwei Pole, rechts und links, um die sich die politischen Kräfte und Parteien gruppierten. Der Wettbewerb dieser Kräfte gewährleistete Gleichgewicht und Stabilität des Systems als Ganzes. Dieses System ist inzwischen zerstört. Beunruhigt durch sinkende Wählerzahlen startete die CDU eine Suche nach einer neuen Identität. Zuerstgrenzte sie sich unter dem Motto „Freiheit statt Sozialismus“ nach links ab. Dann warf Merkel das Ruder um 180 Grad herum, ab da hieß es „Mitte statt rechts“. An der Station „Mitte“ vergaß man jedoch auszusteigen und der Linksruck ging weiter. Um sich der SPD anzudienen, gab die CDU ihre traditionellen Werte, Familie,Ehe, Herkunft, Heimat, Nation, Tradition, Bestand u. a. m. auf. Der Konservatismus, die jahrzehntelange Wertebasis der CDU, wurdeaufgekündigt, und zwar weil er, so der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet, nicht zum Markenkern der CDU gehöre. Wenn Merkel heute kritisiert wird, dann in der Regelaus den eigenen Reihen; gelobt und verteidigt wird sie fast immervon der Linken. Wenn das nicht absurd ist, dann weiß ich nicht, was dieses Wort sonstbedeutet…

Das Vakuum, das die CDU hinterlassen hat, besetzte die AfD, auf der gegenüberliegenden Seite entstand ein übermächtiger linker Parteienblock,  der seine Daseinsberechtigung im „Kampf gegen rechts“ sieht. Einen ähnlichen „Kampf“ habe ich bereits einmal erlebt. 1988, als die DDR bereits in den letzten Zügen lag, erfand die SED, die keine Lust mehr hatte, von der Sowjetunion das Siegen zu lernen, eine neue Losung: „Sozialismus in den Farben der DDR“.In der Begründung dazu hieß es, die welthistorische Mission der DDR bestehe im Kampf gegen den westdeutschen Imperialismus, Revanchismus, Faschismus. Im Angesicht des nahenden Untergangs mobilisierte die SED die letzte moralische Ressource des Landes – den Schrecken vor den Verbrechen Nazi-Deutschlands. Daß der wirkliche Faschismus dadurch in unerträglicher Weise trivialisiert wurde, nahm die SED damals und nehmen die etablierten Parteienheute, bewußt in Kauf. Um möglichen Unterstellungen vorzubeugen: mir liegt es fern, die heutigen Parteien in die Nähe der SED zu rücken. Ich negiere nicht, daß es heute Neonazis gibt; ich behaupte nur, daß deren politische Relevanz den gegenwärtigen medialen Kanonendonner und Pulverdampf im „Kampf gegen rechts“ nicht rechtfertigt. Jedermann in diesem Raum weiß, daß sich die Speerspitze dieser Kampagne nicht gegen die Neonazis, sondernvor allem gegen die AfD richtet, die von den anderen Parteien nicht als politischer Gegner, sondern als „Klassenfeind“ angesehen wird. Mit dem „Klassenfeind“ aber diskutiert man nicht, der „Klassenfeind“ gehört  vernichtet zu werden. InhaltlicheAuseinandersetzung, Austausch von Argumenten, gemeinsame Suche nach Lösungen, die Integration der neuen Partei in das parteipolitische Gefüge des Landes, wie das z. B. mit den Grünen, dem damaligen „Bürgerschreck„, geschehen ist, alles das soll der AfD verwehrt werden. 

Ich sagte „vor allem gegen die AfD““, weil die Zielstellung der neuen Kampfideologie noch breiter ist. Mit dem Gerede von der Gefahr von rechts wird der deutschen Gesellschaft unterstellt, sie seigegen das Faszinosum der Nazizeit bis heute nicht gefeit. Der Philosoph Norbert Bolz spricht von der „Tribunalisierung“ des deutschen Volkes, das aus der Habachtstellung vor dem permanent tagenden Tribunal des linken Mainstreams nicht entlassen werden darf. Wer dieses Gericht und seine Tabus nicht akzeptieren will, der stehe rechts. Wer rechts steht, sei ein Rechtspopulist. Wer Rechtspopulist ist, der sei ein Nazi.

Stichwort Zuwanderung. Wie schon so oft geht Deutschland auch hier einen Sonderweg. Wir lieben Extreme. Entweder tun wir der Welt, um mit Thomas Mann zu sprechen, unsägliches Leid an, oder wir sitzen moralisch hoch zu Roß. Kein Land in Europa will uns folgen, die Nachbarn sprechen sogar vom „moralischen Imperialismus“ der Deutschen. • Wenn die Bundeskanzlerin sagt, wir hätten alles richtig gemacht, nur dürfte sich dieses „Richtige“ niemals wiederholen, dann muß man nicht das Fach Logik studiert haben, um hier einen logischen Bruch zu erkennen. • Wenn die Bundeskanzlerin an einem Tag sagt, die 3 000 Kilometer langen Grenzen Deutschlands ließen sich im 21. Jahrhundert nicht schließen, am nächsten Tag aber einen „besseren Schutz“ der doppelt so langen EU-Grenzen verlangt, dann ist es auch in diesem Fall mit der Logik nicht weit her. • Wenn die Bundeskanzlerin eine „gerechte“ Verteilung der Migranten in der EU fordert, wohl wissend, daß die meisten unbedingt nach Deutschland wollen, dann sei die Frage erlaubt, wie sie diese Menschen an den Orten außerhalb Deutschlands halten will – mit Waffengewalt?

Zur Zeit haben wir den Schutz des deuschen Sozialstaates unserem „Freund“ Erdogan überlassen und uns von ihm erpressbar gemacht – das ist erniedrigend, für jeden von uns. Die Hauptverantwortung dafür trägt die CDU, einst der Stabilitätsanker, heute ein leckgeschlagenes Schiff in stürmischer See, das orientierungslos „auf Sicht“ fährt.

Nun ein paar Worte zum letzten, vielleicht wichtigsten Grund.

Ich bin ein Rußlanddeutscher. Es gab eine Zeit, da habe ich das fast vergessen. Doch je älter man wird, desto öfter taucht die Erinnerung an das Durchlebte auf. Gern hätte ich Ihnen einiges darüber erzählt, zum Beispiel über meine Erfahrung mit dem echten Faschismus – über die Vernichtung eines Deportationstransportsdurch die deutschen Stukas kurz vor Stalingrad, mit dem wir nach Kasachstan und Sibirien gebracht werden sollten. Ich habe überlebt, meine Mutter packte mich und lief ins offene Feld, bemüht, den Bomben zu entkommen. Ein Pilot machte Jagd auf die fliehenden Menschen, er überflog uns dreimal, offensichtlich frustriert, daß er uns nicht traf. Manchmal werde ich gefragt, wie ich das behalten konnte, schließlich war ich damals keine drei Jahre alt. Ich wei߄esnicht, vermutlich war es die Todesangst, die mich dazu befähigt hat. Das war meine allererste Erinnerung überhaupt, mit der ich ins bewußte Leben eingetreten war. Mehr zu erzählen fehlt mir die Zeit.Ich sage nur: Ich kann die Vokabeln „Faschismus“ oder Faschisten“nur durch die Brille des Traumas sehen, welches mich seit jenem Tag im September 1942 begleitet. 

Heute sind wir unendlich dankbar dem Land, das uns aufgenommen hat. Es ist uns im Gegensatz zu den meisten von Ihnen nicht in den Schoß gefallen, wir haben dafür mit 400 Tausend Menschenleben bezahlt, elendiglich gestorben im stalinschen Gulag. Was uns aber heute hierzulande immer mehr Sorge macht, ist die Zukunft Deutschlands. Wir haben Angst angesichts der wachsendenSchar heimatloser Kosmopoliten, denen ihre Heimat offensichtlich nicht viel wert ist. Unter den jungen Linksintellektuellen gehören abschätzige Bemerkungen über dieses Land inzwischen zum guten Ton. Und wie reagieren darauf die etablierten Parteien? Die Oberbürgermeisterin von Dresden, ein Mitglied der CDU, erklärte, Dresden wäre eine finstere Provinz geblieben, nur dank dem Zuzug von Migranten sei die Stadt aufgeblüht. Der grüne Parteiführer Habek, der sich anschickt, das Land zu regieren, findet die Vaterlandsliebe „zum Kotzen“ und die Bundeskanzlerin entreißt vor aller Augen Hermann Gröhe zornig die Deutschlandfahne und wirft sie weg. Im Ausland, z. B. im Israel, steht darauf Gefängnisstrafe. „Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht“ klagte dereinst in seinem Pariser Asyl Heinrich Heine. Beim Gedanken an die drei genannten Bilderbuchpatrioten kriege auch ich Schlafstörungen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Berlin, den 27.02.2020