Redebeitrag des Bezirksverordneten Dr. Sergej Henke am 24.03.2022

Sehr geehrter Herr Vorsteher, geehrte Bezirksverordnete,

wer kennt nicht diese Zeilen aus dem ersten Teil von Faust:

 

„Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen

als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

wenn hinten, weit, in der Türkei,

die Völker aufeinanderschlagen.

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus

und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;

dann kehrt man abends froh nach Haus.“

 

Natürlich waren diese Worte auch damals schon sarkastisch gemeint; trotzdem würde der größte deutsche Dichter aller Zeiten mit dieser Wortwahl heute den Test in Political Correctness kaum bestehen.

Der bereits länger als einen Monat andauernde Krieg in der Ukraine wütet gar nicht weit – zirka 600 km östlicher, das entspricht der Entfernung von Berlin nach München. Was bedeutet dieser Krieg für uns alle? Unser Bundeskanzler kommentierte ihn wie folgt: Am 24. Februar sei man in einer anderen Welt aufgewacht. Lassen Sie mich in aller Kürze laut darüber nachdenken, in welcher Welt wir vor dem 24. Februar lebten. „Frieden schaffen ohne Waffen“ wollten wir, und zwar von Lissabon bis Wladiwostok. Sicherheit gab es für uns nur mit Rußland, und niemals gegen es. Wandel schafft man am besten durch Handel, glaubten wir. Wandel? Welcher Wandel? Krieg im Donbass, 14.000 Tote. Krieg gegen Georgien, die Annexion der Krim, Serienmorde an „Nationalverrätern“ und Oppositionellen. Berlin blieb bei seinem Mantra: Sicherheit gebe es nur mit Rußland…. Und nun? Katerstimmung allerorten, der Satz vom Versagen der deutschen politischen Klasse macht die Runde. Während der Sendung mit Markus Lanz muß Martin Schulz kleinlaut zugeben: Wir haben die Aggressivität Putins unterschätzt. Und hier bei uns?

Unverhältnismäßig oft gilt unsere Aufmerksamkeit nicht den Alltagssorgen der Bürger, sondern der eigenen liebgewordenen Ideologie. Unverhältnismäßig oft steht im Mittelpunkt nicht das uns Einende, das Gemeinsame, sondern die sogenannte Identitätsproblematik, die polarisiert und spaltet.  Nach wie vor widmen wir unsere ohnehin knappe Zeit nicht den wirklichen Problemen unseres Bezirks, sondern ideologisch aufgeladenen Schaufensteranträgen und -projekten. Als im Ausschuß für Integration und Partizipation über die Folgen der Zuwanderung aus Afghanistan diskutiert wurde, sagte eine Bezirksverordnete, sie freue sich darüber, weil der Bezirk dadurch noch viel bunter wird. Jetzt wird unser Bezirk noch bunter, freuen kann ich mich darüber allerdings nicht. Kritisiert man als Mitglied der AfD ein solches Herangehen, wird man sofort als Rassist beschimpft. Manchen jüngeren Kolleginnen geht es weniger um die Sacharbeit, sondern darum, wie man durch ein besonders „progressives“ Auftreten den eigenen Fraktionsvorsitzenden beeindrucken kann. Man ist sogar bereit, die eigene Sexualität zum kommunalpolitischen Thema zu machen. Die Transgender-Problematik ist nicht unwichtig, aber was wir daraus machen hat mit Maß und Mitte nichts zu tun . Wenn die Ampel-Koalition ihre Gesetzesinitiative durchbringt, der zufolge es den 14jährigen erlaubt sein wird, ihr Geschlecht auch gegen den Willen der Eltern zu ändern, wird es, so fürchte ich, auch bei uns zu ähnlich absurden Vorschlägen kommen.

Mag sein, daß ich nicht mehr verstehe, was Fortschritt heute bedeutet. Nietzsche sagte einmal über Dostojewski, er sei glaubwürdig, weil er in seinem Leben so viel durchgemacht hat. Auch ich habe in meinem Leben allerhand durchgemacht – von der Deportation nach Kasachstan über die Schikanen in der Sowjetunion bis zu den Erfahrungen mit dem Sozialismus in den Farben der DDR. Trotz der erfolgreich verteidigten Promotion und Habilitation ließ man mich nicht an die Studenten heran – ich war nicht Mitglied der SED. Erst, als die Wende kam, durfte ich unterrichten. Ich tat es 10 Jahre lang. Als ich danach im Regierungsauftrag nach Kaliningrad ging, dachte ich, daß es nun und bis zum Ende nur noch besser werden wird… Inzwischen  ist mir mein Optimismus längst abhanden gekommen. An die Februar-Sitzung der BVV kann ich ohne Schaudern nicht zurückdenken. 12 Bürgerinnen und Bürger, die von meiner Partei als Bürgerdeputierte vorgeschlagen wurden, wurden abgelehnt. Diejenigen Bezirksverordneten, die das auf dem Gewissen haben, werden nicht müde, sich als „Demokraten““ zu bezeichnen. Mir muß man nicht erklären, was demokratisch bedeutet – ich habe die Demokratietheorie lange genug als Fach unterrichtet. Lassen Sie mich also Ihnen von der Höhe meines Alters und Wissens versichern, daß die Art, was Sie auf unsere Anträge reagieren, mit demokratischem Gebaren nichts zu tun hat. Wie können Sie den CDU-Wählern erklären, daß die stärkste Fraktion der BVV nicht nur von sämtlichen konstituierenden Entscheidungen ausgeschlossen, sondern über diese nicht einmal zeitnah informiert wurde? Wo, in welchem Statut, in welcher Satzung steht, daß man auf diese Weise den Willen der Wähler mit Füßen treten darf? Der Parlamentarier ist laut Artikel 38 unseres Grundgesetzes „an Anweisungen nicht gebunden … und nur seinem Gewissen unterworfen“. Keine Zählgemeinschaft, kein sogenannter Fraktionszwang können das ändern. Die einzige Partei in diesem Raum, die keinen Fraktionszwang hat, ist übrigens die AfD.

Zum Schluß folgendes: Unsere politischen Gegner begründen die Ablehnung unserer Kandidaten und Anträge mit der angeblichen Nähe unserer Partei zum Rechtsextremismus. Inzwischen wird diese Diffamierung auch auf die Rußlanddeutschen in der AfD-Fraktion ausgedehnt – eine Unverschämtheit ohne Gleichen. Ich bin nicht nur der älteste in diesem Raum, ich bin auch der einzige, der am 15. August 1942 unweit von Stalingrad mit knapper Not den Angriff der deutschen Stukas überlebte. Das und die 5 Jahre hinter dem Stacheldrahtzaun haben mich gegen solche Unterstellungen immun gemacht. Wir Rußlanddeutsche kamen nach Deutschland in der Erwartung, daß wir all das, was die Älteren von uns, unsere Eltern und Großeltern in den Kriegsjahren erlebt hatten – in der Zeit, als andere Eltern und Großeltern im damaligen Deutschland einem Wahnsinnigen zujubelten –, daß wir all das heute und hier  vergessen können. Es war zwar sicherlich nicht Ihre Absicht, uns durch die Blockade unserer Kandidaten Konstantin Kruschinskij und Wladimir Naumann an unsere jahrzehnte lange Ausgrenzung in Rußland zu erinnern, aber die Parallele drängt sich trotzdem auf. aber ob gewollt oder nicht: wir wollen nicht an die Gründe erinnert werden, weshalb wir Rußland verlassen haben. Das, was dieses Land heute den Ukrainern, aber auch uns allen in diesem Raum antut, sollte für uns Grund genug sein, zusammenzurücken. Wir können jeweils verschiedene politische Richtungen vertreten, aber wir sind deshalb keine Feinde für einander. Denken Sie daran, wenn wir heute Konstantin für das BVV-Präsidium und später Wladimir für die Funktion des Schriftführers im Ausschuß Stadteile und Soziales wählen werden. Es geht dabei nicht gerade um staatstragende Funktionen, und in der vorigen Wahlperiode wurde das übrigens von allen Parteien auch so gesehen.

Danke für die Aufmerksamkeit.