Beschwerde

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Unser Fraktionsvorsitzender hat bei der Bezirksaufsicht in der Senatsverwaltung  für Inneres Beschwerde gegen den Beschluss des Ältestenrats/BVV-Vorstands eingelegt, Sitzungen der Ausschüsse und der BVV vorläufig nur noch per Video-Konferenz stattfinden zu lassen. Als Rechtsstaatspartei legen wir Wert darauf, das gesetzliche Vorschriften eingehalten werden. Und die fordern nun mal die Durchführung dieser Veranstaltungen als Präsenzveranstaltungen. Die offensichtlich nicht vorhandene „Notlage“ kann und darf nicht durch einen Vorstandsbeschluss der BVV herbeigezaubert werden, obwohl das Arbeiten vom heimischen Sessel natürlich viel bequemer ist.

 

Werner Wiemann, Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion in der BVV Marzahn-Hellersdorf von Berlin, Helene-Weigel-Platz 8
12681 Berlin

 

Senatsverwaltung für Inneres
Bezirksaufsichtsbehörde von Berlin
Klosterstraße 47
10179 Berlin

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 ich wende mich heute in Ihrer Funktion als Bezirksaufsichtsbehörde an Sie.

Ich bin Verordneter der Bezirksverordnetenversammlung von Marzahn-Hellersdorf (BVV), dort Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion sowie Mitglied des Ältestenrates der BVV.

In der Ältestenratssitzung vom 18.10.2022 kündigte der Bezirksvorsteher, Herr Steffen Ostehr, an, dass man ab November von den Präsenzsitzungen der BVV wieder absehen wolle. Nach Aussagen des Herrn Ostehr bestehe der Grund dafür, dass eine „Notlage“ für die Gesundheit der Verordneten bestehe. Sofern der BVV-Vorstand diese Notlage per Beschluss feststellen werde, könne gemäß § 8 a BezVerwG, bis zur Feststellung der Beendigung der Notlage, vom Präsenzsitzungsgebot des § 8 BezVerwG abgewichen werden.

Ich habe in der Ältestenratssitzung das Präsenzgebot verteidigt und mich in der folgenden Abstimmung über eine „Notlage“ dagegen ausgesprochen, wurde aber überstimmt.

In der Sitzung der BVV vom 20.10.2022 verkündigte der BVV-Vorsteher, dass der Ältestenrat und der BVV-Vorstand mehrheitlich beschlossen haben, eine „Notlage“ auszurufen. Ab November 2022 sollen daher alle Sitzungen der BVV – einschließlich der Ausschusssitzungen – bis auf Weiteres nur noch online stattfinden.

Ich sehe mich durch diesen Beschluss in meinen Rechten als Verordneter verletzt, 1. weil es die behauptete Notlage tatsächlich nicht gibt, 2. weil eine Notlage im Sinne des § 8a BezVerwG nicht durch die BVV einfach beschlossen werden kann, 3. weil für die Arbeit der BVV und ihrer Ausschüsse die Präsenz der Öffentlichkeit konstitutiv ist und deshalb die Aufgabenerfüllung der BVV unter der Aussetzung der Präsenzpflicht leidet.

Zu 1)

Die im Ältestenrat und im BVV-Vorstand repräsentierte Mehrheit der BVV nimmt eine Notlage an, weil die Corona-Infizierungsrate in Deutschland wieder steigt. Nicht ein Gedanke wurde dabei darauf verschwendet, ob es belegt ist, dass die Steigerung der Rate vor allem auch Marzahn-Hellersdorf betrifft. Und es wurde kein Beleg angeführt, dass aus einer Steigerung der Infizierungsrate die konkrete Bedrohung für die Gesundheit von nicht Infizierten Personen abgeleitet werden muss.

Zu 2)

Dabei musste es allen BVV-Verordneten eigentlich klar gewesen sein, dass das Infektionsschutzrecht, mithin der Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht auf bezirklicher Ebene bestimmt wird, sondern eine epidemische Notlage von nationaler Tragweite vom Bundestag beschlossen werden muss. Zumindest aber erfordert die Annahme einer Notlage einen Verweis auf eine aktuelle Gesetzgebung, etwa auf Vorschriften einer landesrechtlichen Corona-Verordnung. Auf Landesebene wird eine Notlage im Gesundheitsschutz jedoch aktuell nicht gesehen, was die BVV wusste.

Wie sich aus dem Praxiskommentar zum Berliner Bezirksverwaltungsrecht ableiten lässt, ist der Verzicht auf die Präsenzsitzung der BVV im Übrigen auch keine „Petitesse“. Dort heißt es: „Die Anwendung der Kann-Regelung von Satz 1 ist „angesichts des Ausnahmecharakters (…) an hohe Voraussetzungen“ geknüpft. […] Es bedarf der Annahme „einer außergewöhnlichen Gefahr für Leib, Leben oder die Gesundheit, die nicht nur einzelne (…), sondern (…) die Gesamtheit ihrer Mitglieder oder doch jedenfalls einen mit Blick auf die Beschlussfähigkeit erheblichen Teil der Mitglieder betrifft. Damit wird) allgemeinen Krisensituationen begegnet (…) und keine Abhilfe für das übliche Risiko geschaffen (…), dass sich das politische Kräfteverhältnis aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit einzelner Bezirksverordneter verschieben kann.“

Die BVV-Fraktionen haben diese Zeilen, vor ihrem Beschluss, offenkundig nicht zur Kenntnis genommen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut des § 8a BezVerwG, in Verbindung mit dem der Vorschrift immanenten Ausnahmecharakter, den ein Verzicht auf die Präsenztagung haben muss, die Feststellung einer „Dauernotlage“, bzw. einen dauernden Übergang auf online-Veranstaltungen gar nicht trägt: „Abweichend von § 8 Absatz 2 Satz 1 kann eine Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung im Wege einer Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden (Videositzung) […].

Aus der Regelung ergibt sich, dass die Feststellung einer Notlage sich nur auf die jeweils nächste Sitzung beziehen kann und nicht auf eine Zeitperiode. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn eindeutig feststeht, dass die Notlage sich auf einen Zeitraum ausdehnen wird, in dem mehrere Sitzungen der BVV bereits geplant oder vorhersehbar sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall: Wenn das Vorhandensein einer Notlage sich nur auf eine Behauptung oder Annahme gründet, dann ist auch die folgende Annahme, dass die „eingebildete“ Notlage sich auf einen unbestimmten Zeitraum ausdehnen wird, eine schiere Behauptung.

Vor der Entscheidung hat es der BVV-Vorstand im Übrigen auch verabsäumt, Anhaltspunkte für die Gefährdungslage der Verordneten zu ermitteln. Es hätte etwa der Impfstatus der Verordneten zu erfragen oder besondere Vulnerabilitäten unter den Verordneten.

Auch wurde keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt, ob etwa durch Test und/oder Maskenpflichten die Präsenzfähigkeit der BVV erhalten bleiben kann.

Zu 3)

All dies führt dazu, dass die beschlossene Maßnahme einer nachvollziehbaren Begründung entbehrt und allein damit schon in rechtswidriger Weise in das Recht sowohl der Bevölkerung als auch aller Bezirksverordneten auf Präsenzsitzungen eingreift. Ungeachtet dessen könnten auch weitere Belastungen der Verordneten, etwa durch Briefwahlen und die Einschränkung der Kommunikation bei Online-Sitzungen angeführt werden, die ohne Rechtsgrundlage nicht hinnehmbar sind.

Rechtswidrige Beschlüsse des Ältestenrats bzw. des BVV-Vorstands sind im Rahmen der Bezirksaufsicht aufzuheben. Ich beantrage daher den mehrheitlichen Beschluss des Ältestenrats und des BVV-Vorstands vom 18.10.2022 bzw. 20.10.2022 im Wege der Bezirksaufsicht umgehend aufzuheben. Die nächste BVV-Sitzung am 10.11.2022 und auch alle Ausschusssitzungen müssen in Präsenz stattfinden können. Sofern Sie meinem Antrag nicht entsprechen wollen, teilen Sie mir das bitte auch umgehend mit, damit ich vor der nächsten BVV-Sitzung in der Lage bin, Rechtsschutz zu begehren.

Mit freundlichen Grüßen

Werner Wiemann

Fraktionsvorsitzender