Die Toten von Kaulsdorf
Nachdem das ruhige und etwas verschlafene Kaulsdorf vom bisherigen Kriegsverlauf, von einigen Bomben abgesehen, verschont wurde, kam am 22. April 1945 das Grauen des Krieges in seiner vollen Tragik auch über die Menschen in diesem Ortsteil am östlichen Rand von Berlin. Wir Nachgeborenen haben nur schwache Vorstellungen davon, was sich in diesen Tagen überall in und um Berlin für schreckliche Ereignisse zugetragen haben.
Seit mehr als 20 Jahren wohne ich mit meiner Familie ruhig im Grünen in der Nähe des städtischen Kaulsdorfer Friedhofes, der sich am Ende der Dorfstraße befindet. Dort gibt es acht Soldatengräber, einheitlich mit kleinen quadratischen Steinplatten gestaltet, wie wir diese von vielen Berliner Friedhöfen kennen. Der jüngste dieser Gefallenen, Erwin Matz, starb am 30. April 1945 an seinen Verwundungen – zwei Wochen vor seinem 16. Geburtstag! Aus mündlichen Überlieferungen wusste ich schon seit einigen Jahren, dass dort auch viele andere Tote der letzten Kriegstage und ersten Nachkriegszeit ihre letzte Ruhe gefunden haben müssen. Es gibt aber auf diese Menschen keine Hinweise, Denkmale oder Grabsteine.
Vor einigen Monate beschloss ich, den Dingen nachzugehen und beantragte beim Bezirksamt die Einsicht in das Sterbebuch des Friedhofs aus dieser Zeit. Nach einiger Zeit kam die Information, dass dieses Sterbebuch im Straßen- und Grünflächenamt zur Einsichtnahme bereitliegt und am 15. Mai 2024 konnte ich in diesem Dokument des Grauens lesen. Gewissenhaft sind dort alle Beisetzungen mit dem Tag der Beisetzung, den Namen (soweit bekannt), Lebensdaten, der Todesursache und bei Einwohnern auch die Adresse vermerkt. Ich empfinde große Achtung vor den Menschen, die in diesen schweren Tagen verantwortungsvoll ihre Arbeit gemacht haben. Die erste Beisetzung nach dem Ende der Kämpfe fand schon am nächsten Tag, dem 23. April statt. Drei Bewohner der Dorfstraße, Opfer einer Granate, fanden ihren letzten Platz auf dem Friedhof. Es wurden alle Menschen in Einzelgräbern bestattet und im Sterbebuch sind die Grabstellen vermerkt. Nach Ende der regulären Liegezeit wurden diese Grabstätten dann offenbar wieder neu vergeben. Bis zum 18. Juni wurden 117 Menschen beigesetzt, deutsche Soldaten und Volkssturmmänner, Zivilisten, aber auch zwei unbekannte sowjetische Soldaten und ein unbekannter „Ostarbeiter“. Viele Menschen, ganze Familien mit Kindern, begingen Suizid und wir haben heute keine Vorstellungen davon, welche Ängste oder Erlebnisse dem vorausgegangen waren. Am 15. Mai wurden vier unbekannte Soldaten der deutschen Luftwaffe, deren Maschine beim Elsengrund abgeschossen wurde, beigesetzt und offenbar wurden bis in den Juni 1945 auch viele Menschen aus provisorischen Gräbern auf den Friedhof umgebettet. Im Sommer und Herbst starben die Menschen in großer Zahl an Infektionskrankheiten und Unterernährung.
Wie gehen wir mit diesem Wissen um? Durch meine Fraktion wurde ein Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung eingereicht (DRs. 2012/IX)
Die Toten mahnen uns – Der Kriegsopfer auf dem Friedhof Kaulsdorf würdig gedenken!
Unser Ziel ist es, dass die Bezirksverordnetenversammlung das Bezirksamt ersucht, die Kommission für Gedenkorte Marzahn-Hellersdorf mit der Erarbeitung einer Empfehlung für ein angemessenes Gedenken an die auf dem städtischen Friedhof Kaulsdorf beigesetzten Opfer des zweiten Weltkrieges zu beauftragen.
In der Kommission Gedenkorte arbeiten Vertreter des Ausschusses für Kultur und Weiterbildung, des Bezirksmuseums, des Bezirksamtes, des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V. und bis zu drei unabhängige Sachverständige aus dem Bereich Geschichte/Kunst gemeinsam an der Bearbeitung aller Fragen, die sich auf bestehende oder neue Gedenkorte im Bezirk beziehen.
Wir erwarten einen Vorschlag für eine angemessene Erinnerung an diese Toten, gerade auch als Mahnung an die Lebenden, sich für die Erhaltung des Friedens einzusetzen. Dieser sollte dann schnell bestätigt und realisiert werden.
Wie stehen Sie zu unserem Antrag?
Wir sind dankbar für Ihre Nachrichten, gerne auch über Erlebnisse, Dokumente und Familienüberlieferungen aus der Zeit des Kriegsendes!
Rolf Keßler
12.11.2024